Artikel über Kunsttherapie in »Namaste«,
alternative Kulturzeitschrift,
Palma de Mallorca, 2006
von Eva Maria Rapp

Foto, Kreide zeichnende Hand, zu einem Artikel von Eva Rapp über Kunsttherapie

KREATIVITÄT
ist eine lebenswichtige Fähigkeit des Menschen und
Motor der Entwicklung der gesamten Menschheit.
KREATIVITÄT
ist in diesen schwierigen Zeiten vielleicht der einzige Ausweg aus den dominanten politischen und
wirtschaftlichen „Sackgassen“-Systemen.
KREATIVITÄT
ist die Fähigkeit, Probleme mit
originellen Methoden zu lösen.
KREATIVITÄT
ist auch die Fähigkeit, ein Werk zu gestalten,
zu komponieren, zu produzieren.

In diesem Sinne ist, wie Josef Beuys (der große Künstler und Denker) es sagte, jeder Mensch ein Künstler.

Die Kunsttherapie ist eine Disziplin der Psychotherapie, die ganz besonders die Gestaltungsfähigkeit nutzt, die jeder Mensch besitzt. Obwohl sie klinisch sehr verbreitet ist, ist sie in der Öffentlichkeit noch relativ wenig bekannt. Diese Therapiemethode entwickelte sich in den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts in den Vereinigten Staaten und in Europa, insbesondere in England und Deutschland. Sie basiert auf derTiefenpsychologie, die bereits zu Beginn Elemente von Zeichnung, Malerei und Skulptur etc. verwendet hat (C.G. Jung z.B.)

Was die Kunsttherapie charakterisiert ist das Setting im Dreieck: Klientin – Bild –Therapeutin. Das Bild ist dabei wie eine dritte Person, es „spricht” mit den anderen. Der Kunsttherapeut* versteht die Sprache des Bildes und übernimmt gegebenenfalls die Rolle der Dolmetscherin. Aber oft versteht der Klient die Botschaft seiner Arbeit schon intuitiv. Die Therapeutin muss sie nur ermutigen, ihre innere Stimme zu hören. Der beste Rat ist nicht so hilfreich wie die eigene Erfahrung. Diese Momente, in denen das Werk mit seinem Schöpfer kommuniziert, sind ein wertvoller Schritt zur Selbsterkenntnis und zum Selbstwachstum. Hier wird die Kunsttherapie mit großem Erfolg eingesetzt. Sie ist aber auch eine Therapieform, die der Heilung schwerwiegender Erkrankungen wie Depressionen, Angstzuständen, Psychosen und psychosomatischen Erkrankungen dient. Ganz besonders ist sie indiziert für Menschen mit verbalen Ausdrucksproblemen: für Kinder, für Ausländer, die die Landessprache nicht sprechen, für Patientinnen mit Kontaktstörungen, für jemanden, der Gewalttaten oder sexuellen Missbrauch erlitten hat und als Folge davon an einem Trauma leidet. Kunsttherapie wird sowohl in Gruppen als auch in Einzelgesprächen praktiziert. Die Patientin braucht keine Vorkenntnisse im Schaffen von „Kunst“ und es ist auch gar nicht notwendig, „Kunstwerke“ zu schaffen. Das Wesentliche ist, dass in der geschützten und beim kreativen Prozess empathisch begleiteten therapeutischen Situation, etwas aus dem Unterbewussten auftauchen kann, das vorher noch verborgen war. Das können zum Beispiel verdrängte negative Emotionen wie Aggressionen sein, aber auch unterdrückte Fähigkeiten und unterschätzte Ressourcen.
Veronica, ein 4-jähriges Mädchen, das von ihrem Stiefvater missbraucht und misshandelt wurde, zeigte sich immer mit einer lächelnden Maske und es kam bei ihr oft zu autoaggressiven Handlungen. Sie sprach sehr selten. Veronica malte sehr gerne mit dicken Pinseln und viel Farbe grossflächig an der Wand. Einige Wochen nach Therapiebeginn malte sie aggressive rote Formen und bat dann um ein Pflaster, das sie ganz vorsichtig über die Farbe klebte. Dieselbe Aktion wurde in jeder Sitzung über mehr als zwei Monate durchgeführt. Sie fing an, darüber zu reden und konnte endlich mit der Therapeutin und ihrer Mutter über ihre schrecklichen Erfahrungen sprechen. Die Kunsttherapie konnte diesem Mädchen helfen, ihre Selbstheilungskräfte hervorzurufen.
Barbara, eine intelligente und gebildete Frau um die 40, wollte ihr geringes Selbstwertgefühl überwinden. Sie war nicht in der Lage, sich gegen ihren ungerechten Chef zu wehren. Das Malen der Situation und ihrer Gefühle erinnerte sie an ähnliche Situationen aus ihrer Kindheit. Überzeugt von einer Verbindung ihrer Bilder zu ihrer inneren Weisheit fand sie den Kern ihres Problems: Ein fester Glaubenssatz, dass es zu einer Katastrophe kommen müsse, wenn sie ihre Rechte verteidigte. In einem Prozess des Malens und Sprechens gewann sie allmählich mehr Liebe und Wertschätzung für sich selbst, bis sie ihren Chef konfrontieren und von ihm verlangen konnte, was ihr wichtig war. Schließlich verabschiedete sie sich von diesem Job und ging an die Universität, um Jura zu studieren. Durch den kreativen Prozess in der Kunsttherapie konnte Barbara ihre Selbsterkenntnis steigern und Selbstwertgefühl und Mut entwickeln um ein für sie angemesseneres Leben zu führen.
Es gibt viele verschiedene Methoden der Kunsttherapie und jede hat ihren speziellen Wert. Da es viele Aspekte individueller psychischer und somatischer Probleme gibt, benötigt jede Einzelne eine angemessene therapeutische Behandlung.
Aber die Hauptprobleme sind universell: Entfremdung vom Sinn des Lebens, Mangel an Vertrauen, Mangel an Liebe, Einsamkeit und Angst. Eine mögliche persönliche Lösung besteht darin, eine kreative Geisteshaltung zu entwickeln, die den Zugang zu einer lebendigeren, attraktiveren, sinnlicheren … und vielleicht realeren Welt eröffnet.

*Bei der Übersetzung ins Deutsche habe ich die weibliche und männliche Form abwechselnd verwendet.

Einführung zur Ausstellung
»Mujeres y Diosas, un Santo y un pájaro«
im Centre Social Flassaders,
Palma de Mallorca

von Ariadne Buchetmann, 2006

Das malerische Werk der 55-jährigen Objektkünstlerin Eva Maria Rapp (Studium bei K.F. Dahmen) ist aus der Not entstanden. Immer wieder gab es Phasen, wo sie meist wegen intensiver Gelderwerbsarbeit aus Zeitmangel zu Papier und Farbe griff, den bildnerischen Medien für spontanen, schnellen Ausdruck. Typisch für ihre Bilder ist der Gebrauch von allen möglichen und unmöglichen Materialien. Immer und überall gibt es etwas, das sich zum Malen eignet. Ganze Serien hat sie dem Abrieb von Pflanzenpigmenten gewidmet und Studien dazu gemacht. Diese monochromen und meditativen Papierarbeiten stellen eine Verbindung zwischen der Malerei und den abstrakten Objekten her, die ihre Spannung aus einer Synthese von Naturmaterialien und Zivilisationsprodukten beziehen.

Stilistisch schwer einzuordnen, wird sie manchmal in die Nähe der „Neuen Wilden” gerückt.
Bezeichnend für ihre Arbeiten ist ein schneller, leichter, lockerer Strich, der häufig im Kontrast steht zu vielschichtigen Übermalungen, die sich zuweilen tief ins Papier eingraben, ohne dessen Materialgrenzen zu beachten.

Thema von Rapps malerischen Arbeiten ist seit der Studienzeit die Frau, bzw. der Blick der (Männer-) Welt auf die Frau und die oft vernichtenden Folgen eines eingeschränkten Blicks: „der geile, der glorifizierende, der vermarktende, der verachtende, der bedürftige, der verletzende, der verniedlichende, der verständnislose … der blinde Blick”.

Die dargestellten Frauen sind in all ihrem Schmerz und ihrer Verletzlichkeit mit ihrem kraftvoll-entschiedenen Strich aufs Papier gebannt, wirken fast eingraviert, so als ob es kein Entrinnen gäbe.

In den letzten 15 Jahren umkreist sie dieses Thema, wohl unter dem Einfluss ihrer Arbeit als Psychotherapeutin mit misshandelten Frauen und Kindern, aus einer anderen Perspektive, mehr der Blick nach Innen, Emotionen, Ressourcen, Erinnern. Erst seit „Sebastian schlägt zurück” schält sich das Handeln, das Sich-Wehren aus der Wunde. Mehr Leichtigkeit im Strich, mehr Zwischentöne in der Farbgebung, mehr zartgetönte Flächen kennzeichnen den Wandlungsprozess: Wilde Frauen, trotz vieler Narben und noch offener Wunden, starke Frauen, Göttinnen, Megären, Amazonen, Dakinis bevölkern die Bilder. Diese stehen den Depressiven, Auswegslosen, Verängstigten, Geschundenen zur Seite. Teilen. Heilen. Geben ab von ihrer Wildheit und Kraft.

Auszug aus dem Vorwort von Prof. Dr. Gisela Dischner
zum Katalog der Ausstellung »Caras y Objetos«
von Eva Maria Rapp und Dieter Breitschwerdt
in der Casa de Cultura, Santanyí, Mallorca, 2017

Der Unterschied zwischen (kunst)handwerklichem Können – über das beide Künstler verfügen – und eigenständigen Kunstwerken besteht in der Tatsache, dass ein Bild von Eva-Maria Rapp und Dieter Breitschwerdt etwas darstellt, das es vorher noch nicht gab – weder in der Natur noch auf Fotografien von Landschaften, Bäumen, Tieren, Menschen.

Der Betrachter des Bildes sieht etwas, das er vorher noch nicht gesehen hat. Das Bild ist beispielsweise das Gemälde der Frau, mit der Eva-Maria Rapp in einem Haus lebt. Zunächst könnte es die Kopie einer Farbfotografie sein. Aber beim näheren Hinsehen wird der aufnahmebereite Betrachter in die Stimmung versetzt, in welcher die Frau sich während des Malvorgangs befand: sie sieht die Malerin ernst an, der Mund ist geschlossen – aber die Augen lächeln, aus ihnen strahlt Freude; sie verraten als Fenster zur Seele: Liebe. Eva-Maria Rapp hat einen inneren Vorgang im Blick malerisch dargestellt, eine Herzenswärme, die den Betrachter vielleicht selbst ergreift im längeren Hinschauen. In poetischer Reduktion entrollt sich eine gemeinsame Lebensgeschichte, in welcher, entsprechend der Stimmung, in welcher der Betrachter sich befindet, gleichzeitig Freude, Sehnsucht, Wehmut, Trauer den Blickenden ergreifen. Ergriffenheit ist das was ich persönlich empfand, als ich dieses Bild an der Wand der gemeinsamen Wohnung zum ersten Mal sah. Einen inneren Vorgang „äußerlich“ darzustellen unterscheidet Kunst vom Klischee des
Schon-Gesehenen, das ein bloßes Wiedererkennen bleibt (…)

(…) Nehmen Sie sich Zeit, sie zu betrachten! – Es wagen, ein Einzelner zu sein als Künstler und Lebenskünstler, erfordert Mut. Auch dazu ermuntern diese Bilder: Zur unsichtbaren Liebesgemeinschaft der Wenigen, die sich nur durch ihre Werke kennen und sich vielleicht über das Internet verständigen können. Neben dem Populismus der marktgerechten Pseudokunst entsteht so ein subversives Netzwerk von einem globalen Ausmaß. Davon wagten Künstler vor einem Jahrhundert noch nicht zu träumen. Allons, rêvons! Lasst uns träumen, ohne auf den Nutzen und Erfolg einer Gesellschaft zu schielen, die im Mai 1968 auf einer Mauer in Paris als eine Carnifleur, eine fleischfressende Pflanze, bezeichnet wurde.

Gegen eine Revolution mit Gewalt, die nur die Gewalt weiterträgt in eine umweltzerstörte Zukunft, fordern wir eine ästhetische Revolution von der Schiller als eine Bilderrevolution träumte.

Eva Maria Rapp und Dieter Breitschwerdt, die Realisten des Innenlebens, gehören zu ihren Vorboten als Avantgarde.

Santanyí, im August 2017,
Prof. Dr. Gisela Dischner